Horst Schäfer: Integrationspreis für die ARD

DANKREDE von Horst Schäfer für die ARD anlässlich der Verleihung des INTEGRATIONSPREISES des SPD-Ortsvereins Dietzenbach am Dienstag, 29. Januar 2013 im Bürgerhaus des Stadt Dietzenbach

Sehr geehrte Mitglieder des SPD-Ortsvereinsvorstandes,sehr geehrte Freunde und Zweifler am friedlichen Zusammenleben der Kulturen und Religionen in Dietzenbach,

ich möchte meiner Dankrede für die ARD ein paar Fakten vorwegschicken:

– In Dietzenbach leben Menschen – in allen Generationen – aus fast allen Kulturen und Religionen der Welt. Der Anteil der muslimischen Mitbürger ist inzwischen auf 20 – 25 % gestiegen.

– An Dietzenbacher Grundschulen lernen zuweilen über 90 % SchülerInnen mit Migrationshintergrund, vielfach muslimischen Glaubens.

– In Dietzenbach gibt es seit über drei Jahrzehnten muslimische Gemeinden.

– Der Arbeitsgemeinschaft der Religionen gehört – in der Summe – der weit überwiegende Teil der Bevölkerung von Dietzenbach an.

Man konnte in den beiden letzten Jahrzehnten in Dietzenbach immer wieder heftige Diskurse über Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen erleben, und immer wieder spielten dabei die Religionen eine Rolle. Ein paar Beispiele:

– Nahezu systematisch wurden alle Moscheebauvorhaben aller 3 großen muslimischen Gemeinden bekämpft.

– Die Benennung einer Fußgängerbrücke nach dem ersten muslimischen Nobelpreisträger Abdus Salam wurde alleine deshalb bekämpft, weil er ein Ahmadi-Muslim ist.

– Ein Beschluß der Stadtverordnetenversammlung zum Bau eines orientalischen Brunnens im Fachmarktzentrum wurde aufgehoben, weil er Muslime hätte anziehen können.

– In den Kindertagesstätten wurden bindend – inzwischen schon 3 mal ausgewechselt – Portraits der deutschen Bundespräsidenten aufgehängt, damit insbesondere muslimische Kleinkinder den richtigen und politisch korrekten Personenkultus lernen.

Die Dietzenbacher Religionsgemeinden haben also immer wieder erfahren:

– Beschränkungen des grundgesetzlich verbrieften Rechts auf  Religionsfreiheit,

– die Instrumentalisierung der Religionen durch die Lokalpolitik,

– das öffentliche Gegeneinander-Ausspielen der Religionen, und

– Belastungen und Polarisierungen des gesellschaftlichen Klimas in der Stadt auch durch diese Diskurse.

Daraus erkannten die Religionsgemeinschaften, dass die freie Religionsausübung letztlich aller Religionsgemeinschaften betroffen ist und sie sich gegen diese Benutzung durch Politik und Bürokratie wehren müssen. Die Geschichte der Gründung der ARD ist Ihnen allen bekannt.

Dies führte dann zu dem Anstoß und Impuls, welche Johannes Rau in seiner berühmten Berliner Rede im Jahre 2000 so formulierte: Wir müssen handeln – und zwar ohne Angst und Träumereien.

Schnell wurde den ARD-Teilnehmern aber auch klar, dass auf dieser lokalen Ebene keine theologisch-dogmatischen Streitgespräche zu führen sind. Das untersagen die Führungsebenen aller Religionsgemeinschaften. Aber die ARD-Teilnehmer haben sich immerhin verpflichtet:

– zur Anerkennung der Gedanken- , Gewissens- und Religionsfreiheit in der alleinigen Fassung des Art.18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen: Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung eines Ritus zu bekunden.

– zur Achtung des Grundgesetzes und der darin garantierten positiven wie negativen Religionsfreiheit;

– zum Verbot jeder Form von Diskriminierung aufgrund der Religion, des Geschlechts, der Hautfarbe, der Kultur, der Herkunft und des sozialen Status;

– zur Abwägung der Religionsfreiheit mit konkurrierenden Grundrechten in säkularem Staats- und Rechtsverständnis;

– zum Recht auf freie Meinungsäußerung, die die Integrität desAndersgläubigen achtet;

– zur respektvollen Kooperation, die die jeweilige Eigenständigkeit und dasExistenzrecht der Religionsgemeinschaften und Gemeinden akzeptiert;

– zur Bereitschaft, Gemeinsamkeiten zu suchen und Unterschiede zu achten;

– zum Verzicht auf Missionierung im Sinne des Drängens zum Religionswechsel (Kein Zwang im Glauben, Koran 2:256);

– zum Verzicht auf jegliche Formen des religiösen Fanatismus und der Intoleranz;

– zur Gewaltfreiheit im Umgang mit Konflikten;

– zum Respekt auch vor Atheisten, Agnostikern, Apostaten und Nonkonformisten;  

Und Aufgaben der ARD sollten zum Beispiel sein:

– die kontinuierliche und verlässliche Begegnung insbesondere der Führungspersonen der Gemeinden, Stellungnahmen zu Sakralbauvorhaben und zu Auftritten extremistischer demagogischer Religionsprediger in der Stadt,

– die Planung von öffentlichen Veranstaltungen etwa zum Thema Friedenserziehung für Schulkinder, zum Thema Ehrfurcht vor dem Alter in den verschiedenen Religionen, zum Thema Verhinderung der religiösen Radikalisierung Jugendlicher.

– die Organisation, Durchführung und Etablierung von gemeinsamen öffentlichen Friedensgebeten,

– die Teilnahme am auch politischen Willensbildungsprozeß wie etwa die Einforderung von Sitzen für die muslimischen Gemeinden im Seniorenbeirat oder an den Sitzungen zur Formulierung eines Integrationskonzeptes für die Stadt, Kooperation auch mit dem Ausländerbeirat, etc.

Die Aufgaben, die sich die ARD gestellt hat, sind deshalb wichtig, weil man nicht zulassen darf, dass Menschen entgegen dem Auftrag ihrer Religionen die Gesellschaft spalten. Die ARD will mit all diesen Aufgaben helfen, Unsicherheit und Angst zu überwinden und Einstellungen zu Fremdenfeindlichkeit, Hass und Gewalt zu überwinden, am besten zu verhindern. Sie will um Verständnis werben für kulturell und religiös begründete unterschiedliche Verhaltensweisen der MitbürgerInnen. Sie möchte durch Schaffen von Begegnungsmöglichkeiten von Menschen unterschiedlicher Religionsgemeinschaften Bedrohungsängste abbauen helfen, die Neugier auf Andersgläubige wecken, Miß- und Unverständnisse über Andersgläubige beseitigen helfen, ein langsames Miteinander-Vertrautwerden fördern, die Kraft zum Aushalten unterschiedlicher Glaubensantworten stärken, letztlich zur Einsicht verhelfen, dass der/die Andersgläubige ein Individuum mit häufig ähnlichen sozialen Problemen ist wie man selbst und – wie Du und ich – an das liebe Gott glaubt, wie das kürzlich eine bekannte Bundespolitikerin aus Wiesbaden formuliert hatte. Über den korrekten Artikel für den lieben Gott muß ich mich aber von den Fachleuten in der ARD noch beraten lassen.

Die ARD wirbt für eine aktive Toleranz. Das bedeutet zum einen neugierige, anerkennungsbereite und verständigungsorientierte  Gespräche mit den Fremden, mit den Anders- und auch mit den Nicht-Gläubigen, aber ebenso die Bereitschaft, Erfahrungen und Tätigkeiten mit den anderen zu teilen. Dabei versteht die ARD Religion als Grundbaustein menschlichen Lebens.

Selbstverständlich verkennt die ARD nicht, dass mit falsch verstandener Ausländerfreundlichkeit Probleme und Konflikte nicht überwunden werden können, die nun mal entstehen, wenn Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben.

Vaclav Havel, der große tschechische Schriftsteller und gute ehemalige Präsident Tschechiens, hat in seinen – im kommunistischen Gefängnis geschriebenen – „Briefen an (seine Ehefrau) Olga“ den großartigen Satz geschrieben: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht; Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“

Hoffnung ist also nicht, dass sich jemandes Wünsche erfüllen. Wünsche sind keine Hoffnung. Hoffnung ist auch nicht, dass etwas so läuft, wie man es sich vorstellt. Pläne sind auch keine Hoffnung. Hoffnung hat nichts zu tun mit dem, was man sich so ausdenkt und was man vorhat. Hoffnung ist mehr. Hoffnung ist, wenn ich Sinn erwarte. Vielleicht nicht heute oder morgen, womöglich noch nicht einmal in 2 oder 5 Jahren. Sinn braucht manchmal lange, leider. In dieser Wartezeit bleibt nur die Hoffnung. Richtige Hoffnung, mit der Einsicht, dass ich solchen Sinn nicht erzwingen kann. Aber: Hoffnung ist die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.

Von solcherart – langfristig angelegter – Hoffnung ist auch die ARD getragen. Und solche Hoffnung möchte auch die ARD in Dietzenbach beleben:

– die Hoffnung auf einen dauerhaften gleichberechtigten, friedlichen, vorurteilsfreien, verträglichen, respektvollen, aber auch kritischen Meinungsaustausch zwischen Menschen

– die Hoffnung auf vertrauensvolle Begegnung und wohlwollende Zusammenarbeit im Alltag,

– die Hoffnung auf das bessere Kennenlernen und Verständnis des Andersgläubigen und auch des Nicht-Gläubigen.

In der Ehrung der ARD mit dem Integrationspreis des SPD-Ortsvereins Dietzenbach, in der öffentlichen Anerkennung ihres Wirkens sieht sich die Arbeitsgemeinschaft genauso wahrgenommen wie sie es erhofft hat, nämlich mit dem Streben nach aktiver Toleranz und wohlwollendem Ausgleichen. „Versöhnen statt spalten“, nannte das Johannes Rau. Die Bundesfamilienministerin hätte sicher noch ergänzt: Vertöchtern statt spalten. Die Arbeitsgemeinschaft freut sich über diese Ehrung sehr.

Ich danke Ihnen namens der ARD für diese – auch anspornende – Würdigung.

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