Andrea Schwarze: “Zusammen halten – Zukunft gewinnen”

Andrea Schwarze – „Zusammen halten – Zukunft gewinnen“ Predigt am 26.September 2010 in der evangelischen Rut–Kirche zu Dietzenbach im ökumenischen Eröffnungsgottesdienst für die Interkulturellen Woche 2010

Predigttext: Johannes 4, 1-13:

1Jesus erfuhr, dass die Pharisäer gehört hatten, er gewinne und taufe mehr Jünger als Johannes –  2 allerdings taufte nicht Jesus selbst, sondern seine Jünger -; 3 daraufhin verließ er Judäa und ging wieder nach Galiläa. 4 Er musste aber den Weg durch Samarien nehmen. 5 So kam er zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. 6 Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. 7 Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen. 9 Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern. 10 Jesus antwortete ihr: Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben. 11 Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? 12 Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden? 13 Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.

Liebe Gemeinde, liebe Gäste,

ich möchte meine Worte folgendermaßen überschreiben: „Grenzüberschreitung bedeutet Lebensgewinn“ und mit einer persönlichen Erfahrung beginnen: Auch ich bin 1999 über eine Grenze gegangen – für ein Jahr – nach England.

Das hört sich von Dietzenbach aus gesehen nicht so weit an – das hört sich nach Europa an – nach einer Sprache, die wir in Deutschland alle in der Schule lernen

und wenn wir auf das dort vorherrschende Glaubensbekenntnis schauen – dort gehören die meisten Menschen der anglikanischen Kirche an– dann hört sich das ebenfalls nicht ganz fremd an.

Es hört sich alles einfach an – und doch habe ich dort erfahren, wie fremd man sich in einer anderen Sprache und auch in einem anderen kulturellen Verständnis fühlen kann. Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich ein rotes heißes Gesicht bekommen habe, weil ich an der Reaktion meines Gegenübers gespürt habe, ich habe da etwas Grundlegendes nicht verstanden – obwohl ich die Worte verstanden habe. Oder ich habe etwas völlig Falsches gesagt – obwohl ich die richtigen Worte benutz habe. Wir benutzten die richtigen Worte  – aber wir spüren die kulturellen Unterschiede – die mit der Erziehung und dem gesellschaftlichen Miteinander in einem Menschen tief verwurzelt sind. In England ist es z. B. die bekannte Höflichkeit, es heißt nicht –„ Gib mir mal den Zucker, bitte“ – sondern „Wärest du so freundlich und könntest mir bitte den Zucker geben“.  Schnell gilt man als unhöflich, grob und schlecht erzogen, wenn man diese feinen Unterschiede nicht erkennt.

Das ist nur ein kleines Beispiel – es sind nicht die Worte – die uns eine andere Kultur fremd erscheinen lassen –es ist das Auftreten oder Benehmen eines Menschen; seine Vorlieben und Gewohnheiten; die Art, sich auszudrücken, sich zu bewegen, also generell: sich in irgendeiner Weise zu verhalten.

All das, was wir in unserem Heimatland von klein an lernen. In der Sprache benutzen wir die gleichen die Wörter – und doch gehen wir mit unterschiedlichen Kulturen und mit einem unterschiedlichen Hintergrund aufeinander zu.  In meinem England-Jahr habe ich diese Unterschiede oft deutlich gespürt, manchmal war ich sehr verunsichert, manchmal habe ich sie neugierig betrachtet – manchmal wissbegierig – manchmal auch vergnüglich.

In dem gehörten biblischen Text geht nun Jesus über Grenzen: In der Geschichte von der samaritischen Frau geht Jesus über drei Grenzen, Er begibt sich in eine Gegend außerhalb seines Wirkungsbereiches – er geht über die geographische Grenze. Er begibt sich über die Grenze seiner eigenen Religion, er geht über die religiöse Grenze. Er begibt sich über die Grenze, spricht mit der samaritischen Frau, er geht über die sozialen Grenzen.

Jesus macht in Samarien Halt – einem Gebiet nördlich von Jerusalem, die Samariter oder auch Samaritaner bildeten eine Gruppe, die nicht dem rabbinischen Judentum angehörte. Sie hatten sich geschichtlich zu einer Zeit anders als der größte Teil des Judentums entwickelt, sodass sich die Menschen in vielen Traditionen von der jüdischen Bevölkerung Israels unterschieden, sie hatten einen eigenen Tempel und pflegten ihre Sprache – das samaritanische. Die Samariter gibt es heute noch als kleine Gemeinschaft: Im 19. Jahrhundert nach Christus wurden diese Gruppe als ein Zweig des jüdischen Volkes vom Jerusalemer Oberrabbiner anerkannt. Es gibt heute in Israel und im Westjordanland ungefähr 700 Menschen, die dieser Gemeinschaft angehören. (Quelle: Wikipedia)

Zurzeit Jesu fanden die Samariter keine Anerkennung bei den Juden – man hatte keinen Kontakt. Jesus – der Jude – geht über Grenzen – er macht in Samarien Halt. Er geht über Grenzen und kommt mit jemand aus der anderen Region ins Gespräch. Jesus kommt mit einer Frau ins Gespräch – was ebenfalls ungewöhnlich war – man unterhielt sich nicht mit fremden Frauen. Später heißt es in der Geschichte, die Jünger kamen hinzu und wunderten sich – sie fragten aber nicht nach, sie akzeptierten Jesu’ Handeln.

Jesus hält sich nicht an die Grenzen zwischen Männern und Frauen –  an die von außen gesetzten Grenzen –

er wendet sich an die Frau – er bittet sie um Lebensnotwendiges – um Wasser. Er bittet sie um etwas, was ihr leicht fällt, er bittet sie um etwas, was sie geben kann. Die beiden kommen ins Gespräch. Die beiden reden nicht über ihre Herkunft, nicht über den kulturellen Unterschied, – es geht um eine grundlegende Sache – Wasser als Quelle des Lebens.Die Grenzüberschreitung Jesu ermöglicht diese Begegnung – sie ist riskant –aber sie lässt auf einen Gewinn hoffen – einen Zugewinn – von neuen Erfahrungen, neuen Einsichten und Erkenntnissen.  Jesus bewegt sich zwischen den Kulturen –

Interkulturell, zwischen den Kulturen.

Diese Worte sind auf ein Beziehungsgeschehen angelegt – aber erst einmal sind es nur Worte – Die Grenzüberschreitung ist von denjenigen gefordert, die sich auf dieses Inter einlassen wollen. Auf die Menschen, die an anderen Menschen interessiert sind – an ihrer Herkunft, ihrer Sprache, ihrer Religion, ihrer Kultur,an ihrer persönlichen Geschichte – auch an dem persönlichen Schicksal – vielleicht von Flucht, Vertreibung – auch an der Lust, ein anderes neues Land kennen zu lernen oder dessen Probleme und Fragen.

In Dietzenbach stammen knapp ein Drittel der Bewohner und Bewohnerinnen aus über hundert Nationen außerhalb Deutschlands. (Stand 2010) Da bilden wir heute hier nur ein kleines Puzzleteil – mit Menschen aus Frankreich, Amerika, Israel…Das kleine Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung – wie verunsichernd das Leben über die eigenen Grenzen hinaus sein kann, erleben wir hier in der Stadt täglich im Zusammenleben – vorausgesetzt es kommt zu einer Begegnung und wir sind alle mutig genug unsere eigene Grenzen zu überschreiten – sind mutig genug, uns auf das Risiko einzulassen, dass es zu Missverständnissen kommt, zu völlig unterschiedlichen Ansichten in den unterschiedlichen Lebensbereichen, vielleicht auch zu Enttäuschungen, dass die Begegnung nur an der Oberfläche bleibt. Bei Jesus ist die Grenzüberschreitung so etwas wie ein Lebenskonzept –

Grenzüberschreitung kann ein Lebenskonzept sein.

Was aber bietet das Risiko – das Lebenskonzept Grenzüberschreitung an positiven Ergebnissen?  -Wir entwickeln Verständnis füreinander, wir lernen, über die Unterschiede zu sprechen und wir haben die Chancen, Vorurteile abzubauen, Wer aber ist „wir“? Die Menschen, die in Dietzenbach leben, die über 100 Nationen Frauen, Männer, Kinder, Erwachsene, Erwerbstätige, Erwerbslose, Menschen mit und ohne Behinderung, Menschen mit Hauptschulabschluss und Menschen mit Hochschulstudium, musikalische und unmusikalische…Menschen vom Hexenberg und Menschen vom Steinberg, Menschen aus dem Spessartviertel.

„Zusammenhalten- Zukunft gewinnen“

– heißt das Motto der Interkulturellen Woche – die in besonderer Weise dazu einlädt, sich kennen zu lernen, sich zu begegnen, ins Gespräch zu kommen.  „Zusammenhalten – Zukunft gewinnen“ – das könnte für mich auch „Zusammen gewinnen“ bedeuten – der Gewinn wäre für mich bei jeder einzelnen Begegnung zu hören: wie ist das in Frankreich, auf den Philipinen, in Kroatien, in der Türkei, wie sehen die Feste bei euch aus, was ist bei euch in der Kindererziehung wichtig, wie ist das im Katholizismus auf den Philippinen, im Islam in der Türkei, wie ist das bei euch in Frankreich.

Die Zukunft liegt in der Begegnung zwischen den Menschen, in der Menschenliebe, in der Anteilnahme an unserem Zusammenleben. Die Geschichte von der Frau am Brunnen ist eine Beispielsgeschichte – nicht nur ein Beispiel von einer bestimmten Begebenheit, sondern ein Beispiel, dass die Grenzüberschreitung zum Gewinn führt – zum Lebensgewinn. Als Christin liegt der Lebensgewinn für mich in meinem Vertrauen auf meinen Glauben, der mich zu Grenzüberschreitungen ermutigt. So wünsche ich uns allen eine erfüllte Woche der Begegnungen. Amen.

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