Familien- und Erbrecht

Pressebericht der Arbeitsgemeinschaft der Religionen (ARD) zur Informationsveranstaltung über die Familien- und Erbrechte christlicher und muslimischer Frauen am 18.11.2013 im Gemeindesaal der katholischen Gemeinde St.Martin

Die Arbeitsgemeinschaft der Religionen in Dietzenbach (abgekürzt: ARD) hatte zu einem Informations- und Gesprächsabend eingeladen, und fast 50 Menschen waren am Abend des 18. November in den Gemeindesaal der katholischen Kirche St.Martin gekommen. Die ARD ging der weit verbreiteten Meinung nach, dass eine muslimische Frau nur „die Hälfte des Mannes erbt“, sprachlich korrekt ausgedrückt: Die Hälfte dessen erbt, was sie erben würde, wenn sie ein Mann wäre. Meist wird dabei nahegelegt, dass die Frau dementsprechend im Islam auch nur „halb so viel wert“ sei.

Der ARD-Sprecher Horst Schäfer eröffnete die Veranstaltung mit einem historischen Abriß der wechselhaften familien- und erbrechtlichen Stellung der Frau im Judentum, Christentum und Islam von der Antike bis in die Neuzeit. Familien- und Erbrecht sei Teil der Kulturgeschichte aller Völker und Religionen. Töchter waren nach den Regeln des Alten Testaments nur erbberechtigt, wenn ein Sohn fehlte. Und sie konnten ihr Erbe auch nur unter der Auflage erhalten, keinen Mann aus einem anderen Stamm zu heiraten, damit das Vermögen der Familie nicht in die Hände einer anderen Sippe gelangte.

Das vom römischen Recht maßgeblich bestimmte deutsche Recht ordnete dem Mann als Familienoberhaupt eine starke Stellung zu. Das wirkte in der BRD noch bis ins 20.Jahrhundert nach. Bis 1957 konnte ein Ehemann den Arbeitsvertrag seiner Ehefrau fristlos kündigen und noch bis 1976 gab es väterliche Vorrechte bei der Kindererziehung.

In vorislamischer Zeit waren Frauen in der arabischen Welt erheblich benachteiligt. Sie konnten selbst als Objekt beim Glücksspiel eingesetzt werden. Mit dem Auftreten des Propheten Mohammed und dem Erscheinen des Korans wurde Frauenrechte in der arabischen Welt erheblich verbessert. So wurde die Brautgabe, die bis dahin an den Schwiegervater zu zahlen war, in eine Gabe umgewandelt, die die Frau als Teil ihres persönlichen Eigentums behalten durfte. Das ist bis heute so.

Der Dietzenbacher Rechtsanwalt Reiner Frank erläuterte dann die Grundzüge des deutschen Familien- und Erbrechtes. Er stellte heraus, dass im deutschen Recht die Eheleute untereinander die ehelichen Aufgaben und auch die Verwaltung des Vermögens vertraglich regeln. Der gesetzliche Regelfall ist dabei die sog. Zugewinngemeinschaft. Das bedeutet, dass das während der Ehezeit hinzugewonnene Vermögen, der sog. Zugewinn, im Scheidungsfalle zu gleichen Teilen auf beide Partner aufgeteilt wird. Hingegen behält jeder Ehepartner diejenigen Vermögenswerte, die er in die Ehe miteingebracht hat. Auch die miteingebrachte Mitgift der Frau bleibt in ihrem Eigentum. Desweiteren verbleiben auch alle Vermögenswerte, die durch Erbschaft oder Schenkung erworben werden, im Eigentum des einzelnen Ehepartners; diese gehen auch nicht in die gemeinsame Erbmasse ein.

Der Frankfurter Experte für islamisches Recht Ansar Bilal Anwar stellte an Hand zahlreicher Beispiele die Vielgestaltigkeit des islamischen Familien- und Erbrechts dar. Er legte Wert auf die Feststellung, dass islamisches Recht von den islamisch geprägten Staaten völlig unterschiedlich geregelt werde, mal werde es uneingeschränkt nach dem Koran und der Sunna übernommen, mal nur im Zivilrecht, mal nur in einzelnen Landesteilen, in Tunesien und der Türkei ist es ganz abgeschafft worden.

Im islamischen Recht spiele die Morgengabe der Braut ein viel größere Rolle als im europäischen Recht. Deren Höhe richte sich grundsätzlich nach den Vermögens- und Einkommensverhältnissen der Familien. In der Ahmadiyya-Gemeinde z.B. werde als Richtlinie der 6-fache Monatsgehalt des künftigen Ehemannes empfohlen, in anderen islamischen Religionsgemeinschaften gebe es andere Regeln. Die Brautgabe aber sei zeitlebens der Verfügungsgewalt des Ehemannes entzogen. Er trage auch alleine die finanzielle Unterhaltslast für die Familie, auch für seine Ehefrau. Folglich werde er nicht umhin können, sein Erbe teilweise auch mit seiner Ehefrau zu teilen. Diese Unterhaltslastenverteilung bringe es auch mit sich, dass der Ehemann sein Einkommen für die ganze Familie einsetzen müsse, die Ehefrau hingegen ihren evtl. Arbeitsverdienst komplett für sich behalten dürfe. Ansar Anwar betonte, dass die Stellung der Frau im islamischen Familien- und Erbrechtssystem schon deshalb anders angelegt sei, weil es im Islam keine Altersheime gebe. Dort würden grundsätzlich Männer und Frauen aller Generationen vom Familienverband unterhalten und versorgt.

Auch im islamischen Erbrecht könne man den Nachlaß per Testament regeln. Der testamentarisch verfügte Nachlaß dürfe aber niemals 1 Drittel des Vermögens überschreiten. Reiner Frank verglich dies –  dem Sinne nach – mit dem gesetzlichen Pflichtteil im BGB.

Reiner Frank stellte auch heraus, dass Muslime in Deutschland rechtlich ebenfalls dem Unterhaltsrecht des BGB unterliegen, nicht hingegen dem deutschen Erbrecht. Und der Pflichtteil nach BGB habe Unterhaltscharakter.

In der Diskussion mit den engagierten Besuchern wurde Kritik an der Höhe der Morgengabe der muslimischen Frau geübt. Die Höhe eines 6-fachen Monatsgehalts des Ehemannes sei heutzutage unzureichend. Nach Ansicht des bekannten Konvertiten Murad Hoffmann sollten etwa auch muslimische Frauen, die ihre Familie ernähren, künftig den gleichen Erbschaftsregeln unterliegen wie Männer.

Rechtsreferendar Aziz Fagrach als Ko-Moderator beschäftigte die Referenten mit der Frage, wer denn heutzutage die sog. Brautgabe aushandele. Anwar erklärte, dass dies letztlich die künftigen Ehepartner aushandeln würden. Anwar fügte aber hinzu, dass nach islamischem Recht traditionell die Väter der künftigen Eheleute hinzugezogen würden. Diese Brautgabe werde in die alleinige Verfügungsgewalt der Ehefrau überführt.

Aziz Fagrach wollte auch wissen, wem die Brautgabe bei Nicht-Vollziehen der Ehe gebührt. Anwar erklärte hierauf, sie müsse nur zur Hälfte zurückgezahlt werden. Frank hingegen erklärte zur eingebrachten Mitgift der deutschen Braut, dass in diesem Falle die Mitgift – wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage – insgesamt wieder an die Frau zurückgeführt werden müsse.

In der teils empathisch geführten Diskussion schälte sich heraus, dass das islamische Recht als Gottesrecht und als solches als Idealfall solcher Regelungen verstanden wird und für islamische Gesellschaftsformen erdacht wurde. Das deutsche Familien- und Erbrecht sei hingegen von demokratischen Institutionen ausgedachtes und interessengerecht abgewogenes weltliches Recht für die deutschen Staatsbürger in einer pluralistischen Gesellschaft. Deshalb könnten die Vor- und Nachteile der beiden Rechtssysteme nicht gegeneinander abgewogen werden. Für wechselseitig abwertende Einschätzungen sei deshalb gar kein Raum.

Reiner Frank veranschaulichte dies sinnfällig anhand von mitgebrachten Äpfeln und Birnen. Diese wurden am Ende der Veranstaltung gemeinsam verspeist. Die Veranstaltungsdauer von ca. 3 Stunden zeigte das anhaltende Interesse der Besucher.

Horst Schäfer / Dietzenbach, den 20.11.2013

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